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Unser wichtigster Baustein

Ein Kind zu bekommen, das ist für viele Menschen heute eine wohlüberlegte Entscheidung. Eine wichtige Rolle spielt der Wohnort: Fühlen sich Familien willkommen, werden sie gut unterstützt? Können sie Familienpolitik vor Ort mitgestalten? Familien sichern das gesellschaftliche Fortbestehen und Funktionieren, sagt Landrat Stefan Rößle. In seinem Landkreis Donau-Ries ist Familienfreundlichkeit deshalb ein Top-Thema.

Über Landrat Stefan Rößle

Porträtfoto: Stefan Rößle.

Stefan Rößle, Landrat des Landkreises Donau-Ries. (Foto: Nitsche)

Stefan Rößle ist seit 2002 Landrat im Donau-Ries. Familie ist für Stefan Rößle nicht nur politisch, sondern auch privat ein großes Thema; der Landrat ist Vater von fünf Kindern. 2008 sorgte er für Aufsehen, als er nach der Geburt seines jüngsten Kindes zwei Monate Elternzeit nahm. Stefan Rößles persönliche Entscheidung stieß eine breite öffentliche Diskussion an. „Plötzlich haben sich mehr Männer mit dem Thema Elternzeit auseinandergesetzt“, erinnert er sich. „Und viele haben sich dann auch selbst getraut, Elternzeit zu beantragen.“ Heute, so Rößle, nehme fast die Hälfte der jungen Väter im Landkreis Elternzeit. Damit liegt die Region weit über dem Durchschnitt: Deutschlandweit genießt nach Angaben des Väterreports 2016 nur jeder dritte Vater die Zeit mit dem Nachwuchs.

Familienregion Donau-Ries

Das Donau-Ries ist der nördlichste Landkreis in Schwaben; die größten Städte sind Nördlingen und Donauwörth. Gut 130.000 Menschen leben in der Region. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit geht gegen null. Nachwuchs ist daher im Donau-Ries ganz besonders willkommen – und Arbeitsmarktpolitik ist immer ein Stück weit auch Familienpolitik.

In Sachen Familienfreundlichkeit geht der Landkreis mit gutem Beispiel voran. Für seine familienbewusste Personalpolitik wurde das Donau-Ries schon mehrfach mit dem Zertifikat des Audits „berufundfamilie“ ausgezeichnet. Für die Familien im Landkreis engagiert sich u. a. das „Bündnis für Familie“, dem zahlreiche Unternehmen, Gemeinden, Schulen und soziale Einrichtungen angehören. Das Ziel: durch gemeinsames Handeln neue Chancen eröffnen – und miteinander umsetzen, was für Einzelne nicht machbar scheint. Die Arbeitgeber in der Region haben Familienfreundlichkeit als Imagefaktor erkannt; immer mehr Betriebe schließen sich dem Bündnis für Familie an.

Willkommen, Kinder und Familien!

Herr Rößle, was erwarten Familien heute von ihrer Kommune?

Stefan Rößle: Kommunale Familienpolitik ist vielschichtig, anspruchsvoll und bedeutet, nicht mehr nur das klassische Thema Kindertagesbetreuung in den Fokus zu rücken. Dieses Thema wird inzwischen als selbstverständlich vorausgesetzt.

Vielmehr muss sich kommunale Familienpolitik öffnen: hin zu einer generationsübergreifenden und lebensphasenorientierten Politik. Dabei ist es notwendig, alle Familienebenen mit einzubeziehen und sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch Eltern jeglicher Familienformen sowie Seniorinnen und Senioren an Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Familien wollen also zum einen Mitspracherecht. Zum anderen muss ein in den Augen von Familien lebenswerter Standort auch zahlreiche Angebote vorhalten: eine gute Infrastruktur, attraktive Angebote in den Bereichen Familienbildung, Jugendarbeit und Freizeit. Außerdem muss festgehalten werden, dass der Themenkomplex Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen großen Stellenwert einnimmt, da das Privatleben gegenüber der Arbeitswelt an Wichtigkeit gewonnen hat. So erwarten sich Familien von ihren Kommunen ausreichend Ferienbetreuungsmöglichkeiten und Entlastung, wenn es darum geht, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen.

GESAGT

Familien wollen Mitspracherecht, eine gute Infrastruktur und attraktive Angebote in den Bereichen Familienbildung, Jugendarbeit und Freizeit. Und Familien erwarten Entlastung, wenn es darum geht, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen.

Dabei muss Familienfreundlichkeit vor Ort geschaffen und gestaltet werden; Bund und Länder können vielfach nur Rahmenbedingungen für mehr Familienfreundlichkeit schaffen.

Was zeichnet eine familienfreundliche Kommune aus?

Eine familienfreundliche Kommune zeichnet sich durch eine Willkommenskultur für Kinder und deren Familien aus. Dabei setzt sie sich dafür ein, Familien verstärkt in den Blickpunkt des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Interesses zu rücken. So wird die Attraktivität der Kommune als Lebensort für Familien gesteigert und ein Prozess hin zu mehr Familienfreundlichkeit in Gang gesetzt. Kommunalpolitik kann dabei die ja doch immer noch persönliche Entscheidung von Paaren, Kinder zu bekommen, nicht aktiv steuern. Jedoch können familienfreundliche Maßnahmen das Umfeld für eine Familiengründung positiv beeinflussen.

Das setzt eine Kommunalpolitik voraus, die Verantwortung für ein attraktives Leben für Familien übernimmt sowie die notwendige soziale Infrastruktur vorhält.

Für Familien – so das Ergebnis einer Umfrage innerhalb eines Modellprojekts im Landkreis Donau-Ries zum Thema Familienzeitpolitik – liegt die größte Belastung im Faktor Zeit. Hier können Kommunen aber viel tun! Öffnungszeiten der Kitas oder Unterrichtszeiten der Schulen können sich an die Bedarfe berufstätiger Eltern angleichen. Die Öffnungszeiten von Behörden und Ämtern, Freizeiteinrichtungen und Einkaufsmöglichkeiten sowie der medizinischen Versorgungseinrichtungen müssen auf die Bedarfe von Familien abgestimmt werden. Auch bei der Wohnungsbauplanung sowie im öffentlichen Nahverkehr muss auf Familien mit Kindern Rücksicht genommen werden.

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Eine Umfrage im Landkreis Donau-Ries hat ergeben: Die größte Belastung für Familien liegt im Faktor Zeit. Hier können Kommunen viel bewegen – z. B. die Unterrichtszeiten von Schulen und die Öffnungszeiten von Kitas, Ämtern, Gesundheits- und Freizeiteinrichtungen familiengerecht gestalten.

Tatsächlich müssen also gerade Familien als wichtiges gesellschaftliches Potenzial gesehen werden. Den Kommunen kommt hier neben den Förderungen durch Bund und Länder eine immer wichtigere Rolle zu. Familienpolitik muss also als übergreifendes Querschnittsthema stets mitgedacht werden.

Ein Beispiel für aktive Familienpolitik: Schließt sich eine Kommune z. B. einem Lokalen Bündnis für Familie an oder gründet selbst ein solches Netzwerk, verfügt sie über ein wirkungsvolles Instrument, in dem sich zahlreiche Akteurinnen und Akteure für mehr Familienfreundlichkeit einsetzen und die Verantwortung für das Thema auf möglichst vielen Schultern verteilt wird. So besteht eine Kooperationsgemeinschaft, die es ermöglicht, familienfreundliche Maßnahmen zu ergreifen, umzusetzen und als Standortfaktor in die Öffentlichkeit zu tragen.

Vätern Mut machen

Im Kinderzimmer: Vater wickelt sein Baby.

Papa sein – auch vor dem Feierabend: Immer mehr Väter nehmen Elternzeit. Bundesweit beantragt jeder dritte Vater die Auszeit für die Familie, im Landkreis Donau-Ries sogar fast jeder zweite. (Foto: Shutterstock)

Wie wirken sich veränderte Familienstrukturen und neue, flexiblere Rollenbilder auf Kommunen aus?

Kommunen müssen die unterschiedlichen Familienformen kennen und auf deren Bedarfe reagieren.

So haben alleinerziehende Elternteile oder berufstätige Eltern ohne Anschluss an weitere Familienmitglieder in der Region einen anderen Bedarf an Kinderbetreuung als die Mutter-Vater-Kind-Familie oder die Großfamilie mit klassischer Rollenverteilung.

Väter in Elternzeit legen auf andere familienfreundliche Maßnahmen Wert als Mütter und benötigen u. U. eine andere Art der Unterstützung bzw. auch Beratungsangebote. Beispielsweise heißt Väterorientierung, insbesondere Väter zu ermutigen, familienfreundliche Angebote tatsächlich wahrzunehmen.

Unternehmen stehen vor neuen Herausforderungen, wenn Väter immer häufiger und länger Elternzeit in Anspruch nehmen und haben ebenso Beratungsbedarf.

Gleichzeitig können die neuen bzw. unterschiedlichen Familienkonzepte aber auch als Chance begriffen werden. In Zeiten des Fachkräftemangels und des allgemeinen Trends, in Großstädte abzuwandern, können Kommunen oder Landkreise viel tun, um als Standort für Familien mit den unterschiedlichsten Lebenskonzepten attraktiv zu sein. Stellt sich eine Region auf die verschiedenen Bedarfe ein, können nicht nur die ansässigen Unternehmen und damit die Wirtschaft davon profitieren. Auch die Abwanderung kann gestoppt bzw. ein verstärkter Zuzug erreicht werden.

Welche Bedeutung haben Familien heute für Kommunen?

Elternpaar mit Kleinkind schiebt Fahrräder durch Fußgängerzone.

Kinder bekommen – ja oder nein? In familienfreundlichen Kommunen fällt die Entscheidung für den Nachwuchs leichter.  (Foto: iStock/Getty)

Familien haben eine tragende Rolle in der Gesellschaft und übernehmen viele Aufgaben, so z. B. in der Pflege Angehöriger. Sie sichern das gesellschaftliche Fortbestehen und Funktionieren. Dabei geht es nicht nur um die Steigerung der Geburtenzahlen. Einer der wichtigsten Aspekte ist dabei, dass Eltern ihre Kinder befähigen, ein funktionierender Teil der Gesellschaft zu sein. Durch ihre Erziehungsarbeit und sozialen Aufgaben geben Familien dem Zusammenleben in einer Gemeinschaft oder auch Kommune ein Gesicht und sorgen für gesellschaftliche Stabilität. Um dies leisten zu können, benötigen Familien Unterstützung und Förderung.

Wo sonst kann der Mensch ganz er selbst sein …

Was bedeutet für Sie ganz persönlich: Familie?

Die Familie ist nach meiner Überzeugung der wichtigste Baustein unserer Gesellschaft. Unser Zusammenleben gelingt nur, wenn dabei Werte eine große Rolle spielen. Diese Werte müssen in der Familie von Generation zu Generation weitervermittelt werden. Unsere Kinder sind doch das größte Geschenk auf Erden. Was gibt es Schöneres, als in lachende Kinderaugen zu sehen. Sie mit Liebe und Fürsorge zu erziehen sowie auf das spätere Leben vorzubereiten, bedeutet für die Eltern eine große Herausforderung, aber auch eine große Bereicherung für die Zukunft. Die Verantwortung, den Kindern Werte wie Liebe, Dankbarkeit, Zufriedenheit u. v. m. zu vermitteln, liegt in erster Linie bei den Eltern, liegt bei der Familie und kann nicht auf Kindergärten und Schulen übertragen werden.

Familie ist für mich persönlich aber auch der Ort des uneingeschränkten Vertrauens, der Sicherheit und Geborgenheit. Jeder Mensch braucht einen Ort, an dem er auch einmal er selbst sein darf. Ohne Familie würde meinem Leben der wichtigste Teil fehlen.

Blitz-Antworten: „Familie ist …“

  • … in meiner Kindheit: sehr schön gewesen – ohne dass ich mir darüber Gedanken gemacht hätte.
  • … im Kreis Donau-Ries: ein zentrales Thema.
  • … in Zukunft: ein gleichbleibend wichtiges Thema! In unserem Landkreis Donau-Ries brauchen wir dringend Arbeitskräfte – familienfreundliche Angebote sind da oft noch wichtiger als das Monetäre. Wir haben ein hohes Niveau an Familienfreundlichkeit erreicht, doch wir dürfen die Anstrengungen auf keinen Fall zurückfahren.
  • … mit fünf Kindern: sehr schön – aber auch immer spannend.
  • … leider auch: mitunter sehr stressig. Und vor Enttäuschungen nicht gefeit.
  • … wenn man es genau nimmt: viel mehr, als man zunächst meint – nämlich die Keimzelle einer funktionierenden Gesellschaft.