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Das Schönste im Leben

Ein Vater, der bei der Geburt seines Kindes dabei ist. Eine Mutter, die Karriere macht. Ein Vater in der Krabbelgruppe. Was noch vor 20 Jahren zumindest selten war, ist heute selbstverständlich. Fast. Auf einem guten Weg. Das Bild der Familie, die Rolle von Mann und Frau – sie verändern sich. Aber: Dieser Wandel braucht viel Zeit. Die Emanzipation der Mutterrolle hat früher angefangen – nämlich Ende der 1970er-Jahre. Der Wandel der Vaterrolle findet erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts statt. Wir haben mit dem Familienforscher Harald Rost über Geschlechterrollen, über Väter und Mütter gesprochen und stellen fest: Gleichberechtigung ist harte Arbeit. Und: Es ist gar nicht so einfach, gesellschaftliche Stempel wieder wegzuwischen.

Was macht das ifb Bamberg?

Das Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) wurde 1994 gegründet und an die Universität Bamberg angegliedert. Als bundesweit einziges sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut widmet es sich ausschließlich der Familienforschung. Das ifb hat 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 15 arbeiten im wissenschaftlichen Bereich und jeweils zwei im Sekretariat und in der Verwaltung. Das Forschungsteam untersucht seit über 20 Jahren die Lebensbedingungen von Familien und deren Bedürfnisse: Wie wird Familienleben gestaltet? Wie verändern sich die Lebensumstände und Lebensweisen von Familien? Das Institut gliedert sich in drei Aufgabenbereiche: Grundlagenforschung (Überprüfung von Methoden und Theorien), angewandte Forschung (Begleitung von Modellprojekten, Handreichungen und Materialien für die Fachpraxis) sowie Politikberatung (Familienberichterstattung).

Über Harald Rost

Porträtbild: Harald Rost.

Harald Rost beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Familie. Seine Schwerpunkte sind unter anderem die Familienberichterstattung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Väterforschung. (Foto: privat)

Von 1989 bis 1995 war Harald Rost als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sozialwissenschaftlichen Forschungsstelle der Universität Bamberg im Bereich der Familienforschung aktiv. Damals begleitete der Diplom-Soziologe eine Längsschnittstudie, in der frisch verheiratete Paare über mehrere Jahre befragt wurden. Seit 1995 arbeitet er am ifb. Seine Arbeitsbereiche: Familienberichterstattung, Work-Life-Balance, Übergang zur Elternschaft und Väterforschung. Als stellvertretender Institutsleiter ist er heute neben der wissenschaftlichen Arbeit in Forschungsprojekten auch für die Geschäftsführung des Instituts zuständig.

Familienrollen verändern sich – aber langsam

Herr Rost, welche Forschungsbereiche finden Sie besonders spannend?

Harald Rost: Ich habe mich schon immer mit Fragen der Familienforschung beschäftigt. Im Laufe meiner wissenschaftlichen Arbeit hat sich gezeigt, dass die Vaterrolle ein wichtiges Thema ist. Väterforschung war in den 1990er-Jahren noch absolutes Neuland. Heute ist klar: Neben der Familienpolitik ist auch die Wirtschaft gefordert, eine Work-Life-Balance – also die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – für Mütter und Väter zu gestalten. Dieses Thema wollte ich angehen. Ich finde es spannend, wie sich diese zwei Lebenswelten – die Familie und die Arbeitswelt – verzahnen. Die Auswirkungen dieser Verschmelzung werden heute meist positiv bewertet, aber ich sehe auch: Sogar eine gute Balance kann Stress und weniger Zeit für die Familie bedeuten.

Was verstehen Fachleute unter „Geschlecht“?

Der Begriff Geschlecht meint zunächst das biologisch angeborene Geschlecht, also Mann oder Frau. „Gender“ bezeichnet die durch Gesellschaft und Kultur geprägten Geschlechtseigenschaften einer Person, also die sozial zugeschriebene Geschlechterrolle. Ein klassisches Beispiel: Die Frau kümmert sich um das Kind, der Mann um das Auto.

Szene aus den 1960er Jahren: Eine Hausfrau serviert ihrem Mann Kaffee.

Das klassische Rollenbild der 1960er-Jahre: Die Frau kümmerte sich um Kinder und Haushalt. Der Mann verdiente das Geld – die Hausarbeit gehörte in der Regel nicht zu seinen Aufgaben. (Foto: Shutterstock)

Wie sind Geschlechterrollen entstanden?

Viele gesellschaftlich zugeschriebene Rollenmuster sind historisch entstanden. In den 1950er- und 1960er-Jahren dominierte die sogenannte Hausfrauenehe, Frauen und gerade Mütter blieben zu Hause und waren nicht erwerbstätig. Eine Mutter, die arbeiten ging, galt als „Rabenmutter“ – aus dieser Zeit stammt auch dieser Begriff. Solche Familienleitbilder halten sich sehr lange. Die zunehmende Bildungsbeteiligung von Frauen und eine veränderte Berufsorientierung führten zu einer höheren Erwerbsbeteiligung von Müttern und einer stärkeren Nachfrage nach institutioneller Kindertagesbetreuung.

Welche Geschlechterrollen sind angeboren, was ist anerzogen?

Vieles ist anerzogen. Es geht darum, wie Mutter- und Vaterrollen in der Familie weitergegeben werden, es geht um Vorbilder. Wie nehme ich meine Herkunftsfamilie wahr? Die Forschung über kinderlose Frauen hat beispielsweise gezeigt: Oft haben diese Frauen von ihren Müttern gehört: „Aus mir ist nichts geworden, mach Du es besser“. Das Ergebnis: Sie haben sich für die Karriere und gegen Kinder entschieden. Für diese Frauen besteht der Wunsch, die negativen Erfahrungen der eigenen Mutter nicht zu wiederholen.

Es geht aber auch darum, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen. Geht man nur mit dem Sohn auf den Bolzplatz und ermutigt nur die Tochter, in der Küche zu helfen? Häufig begegnen einem diese Klischees immer noch. Ein Beispiel: Ich habe meinen zwei Söhnen gerne Bücher vorgelesen, eines hieß: „Einkauf mit Mama“. Warum denn nicht „Einkauf mit Papa“? Dieses Rollenverständnis ist bis heute vielfach präsent – ob in den Medien oder auch in Schulbüchern.

Was führt dazu, dass Geschlechterrollen sich ändern?

Mitte der 1970er-Jahre führte die zunehmende Bildung der Frauen zur Emanzipationsbewegung. Unterschiede zwischen Mann und Frau und die klassischen Rollenbilder wurden in Frage gestellt. Frauen wollten arbeiten. Durch die Einführung der Pille war ab dieser Zeit eine Elternschaft besser planbar. Die Familiengründung wurde zu einer Option in der Lebensplanung, zunehmend mehr Paare blieben kinderlos. Solche Veränderungen prägen das Familienbild. Die Ansprüche an eine Partnerschaft haben sich geändert, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes partnerschaftlich geworden.

Gesagt

Viele Männer würden sich gerne mehr in die Betreuung und Erziehung der Kinder einbringen, die Praxis sieht aber anders aus. Wunsch und Wirklichkeit klaffen hinsichtlich der Aufgabenverteilung von Frau und Mann immer noch auseinander.

Und wie verändert sich die Rolle der Väter?

Die Veränderung der Vaterrolle vom Ernährer der Familie zum engagierten Vater wird von der Familienforschung seit den 1990er-Jahren beobachtet und verläuft sehr langsam. Ein Beispiel dafür ist die Beteiligung der Väter am Elterngeld. Bis vor zehn Jahren nahmen nur drei bis vier Prozent der jungen Väter eine berufliche Pause nach der Geburt eines Kindes, heute beanspruchen immerhin fast 42 Prozent der bayerischen Väter Elterngeld. Die Väterquote ist gerade in den letzten Jahren stetig angestiegen. Betrachtet man die Dauer des Elterngeldbezugs, zeigt sich, dass Väter ganz überwiegend maximal zwei Monate in Anspruch nehmen. Hier ist also noch „Luft nach oben“. Das Gleiche gilt für den Bereich Teilzeitarbeit von Vätern. Auch hier zeigt die Forschung: Viele Männer wünschen sich mehr Zeit für die Familie, die Praxis sieht aber oftmals anders aus. Wunsch und Wirklichkeit klaffen hinsichtlich der Aufgabenverteilung von Frau und Mann immer noch auseinander.

Wie erklären Sie sich das?

Das ist schwierig zu erklären, die Gründe sind sehr vielschichtig. Bei der Mehrzahl der Paare verdient der Mann mehr als die Frau und es stellt sich für die Eltern zunächst die Frage, ob eine berufliche Pause des Vaters oder die Reduktion seiner Arbeitszeit finanziell für die Familie tragbar ist. Die meisten Mütter gehen nach der Geburt eines Kindes in Elternzeit und übernehmen den überwiegenden Teil der Hausarbeit und Kinderbetreuung. Dieses Muster der Arbeitsteilung bleibt auch dann bestehen, wenn sie wieder Teilzeit arbeiten. Ein Teil der Frauen sieht sich auch heute noch in der Rolle der Hausfrau und Mutter. Ca. 40 Prozent der Mütter in Deutschland wollen bewusst nach der Geburt erst einmal zu Hause bleiben. Väter in Elternzeit oder Väter, die Teilzeit arbeiten, sind noch keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. So bestehen bei Vätern häufig Ängste vor einem beruflichen Karriereknick oder die Befürchtung, den Anschluss im Beruf zu verlieren. Eine partnerschaftliche Arbeitsteilung in Bezug auf Erwerbstätigkeit, Haushaltsarbeit und Kinderbetreuung ist oftmals nach wie vor nicht so ganz einfach zu realisieren.

Gesagt

Bei Vätern bestehen häufig Ängste vor einem beruflichen Karriereknick oder die Befürchtung, den Anschluss im Beruf zu verlieren.

Und ich glaube, Frauen haben kurz nach der Geburt eine stärkere Bindung zum Kind. Frauen tragen das Kind neun Monate in ihrem Bauch, sie stillen und entwickeln eine stärkere Bindung zum Kind.

Neue Erwartungen & alte Normen

Neue Geschlechterrollen, neues Selbstverständnis: Wie verändern sich Familien dadurch?

Eine partnerschaftliche Aufgabenteilung kann dazu führen, dass Paare grundsätzlich zufriedener sind. Aber: In einer Beziehung müssen heute viel komplexere Abläufe geregelt werden, es wird viel mehr angesprochen und diskutiert als früher – diese „verbale Aufgeschlossenheit“ ist ein wichtiger Teil der Partnerschaft geworden. Gleichzeitig hat sich die gesellschaftliche Erwartung verändert, gerade an Väter: Sie sollen für Kinder da sein. Andererseits ist es oft für sie nicht einfach, wenn sie bei ihrem Arbeitgeber Elternzeit beantragen. In manchen Unternehmen, z. B. kleinen Betrieben, ist dies oftmals nur schwierig realisierbar.

Wie verändern sich Geschlechterrollen mit der Geburt von Kindern?

Kinderlose Paare teilen sich größtenteils die Hausarbeit, meist sind beide erwerbstätig. Mit der Geburt eines Kindes kommen völlig neue Rollen dazu: Die Frau wird zur Mutter, der Mann zum Vater. Beide bekommen ganz neue Aufgaben in der Betreuung und Erziehung von Kindern. Oft ist es dann in der ersten Zeit nach der Geburt so: Die Frau konzentriert sich auf den Bereich Haushalt und Kindererziehung, der Vater geht weiter zur Arbeit. Mütter gehen zwar heute auch wieder zurück in ihren Job – aber meist in Teilzeit. Das ist der Wunsch vieler Frauen, weil sie für ihre Kinder da sein möchten. In diesem Zusammenhang ist die Rolle der Großeltern nicht zu unterschätzen. Wenn diese in der Nähe wohnen und sich um das Kind kümmern können, ist es oft eine große Hilfe für die Frauen, wieder arbeiten zu gehen.

Übrigens

Ende der 1990er-Jahre nutzten drei bis vier Prozent der Väter Erziehungsgeld. Heute beanspruchen immerhin 42 Prozent der bayerischen Väter Elterngeld.

Rollentausch bereichert

Was denken Sie: Wie könnten beide Eltern gleichberechtigt Familie und Beruf miteinander vereinen?

Ich denke, ein partnerschaftliches Familienbild entspricht den Wünschen vieler Frauen und Männer. So wünschen sich Mütter, selbstständig zu sein und wieder in den Beruf einzusteigen. Und Väter möchten heute ein bisschen mehr Familie und ein bisschen weniger Beruf. Ich denke, eine gute Lösung könnte sein, wenn beide in Teilzeit arbeiten. Die Voraussetzung ist eine gute Betreuung für die Kinder.

Wie sieht Ihr persönliches Rollenmodell aus?

Meine Frau und ich haben die Erziehung unserer Kinder partnerschaftlich gestaltet. Das ist auch anstrengend, ein echtes Jonglieren mit Kinderbetreuung, Übergaben, alltäglichen Absprachen – Familie ist heute viel mehr Management als früher. Aber das ist gut. Denn man nimmt die Rolle seines Gegenübers ein: Frauen wissen, wie es ist, arbeiten zu gehen; Männer erleben, wie es ist, sich um das Kind und den Haushalt zu kümmern. Das führt auch zu mehr Verständnis und Akzeptanz in der Partnerschaft.

Ein Vater mit seinem Kind und Kinderwagen.

Früher selten, heute selbstverständlich: Väter übernehmen immer häufiger und mehr Verantwortung für Kindererziehung und Haushalt. (Foto: Shutterstock)

Also gibt es tatsächlich einen Wandel der Vaterrolle?

Es gibt einen Wandel – wenn man allein sieht, wie viele Väter heute mit Kinderwagen unterwegs sind. Väter sind heute fast selbstverständlich bei der Geburt dabei. Wickeltische stehen nicht mehr nur in der Damentoilette, sondern in neutralen Räumen – viele Männer hatten sich beschwert. Es hat sich also in den letzten 30 Jahren viel getan, was im öffentlichen Leben sichtbar wird. Auch die eben genannte Tatsache, dass heute 42 Prozent der bayerischen Väter Elterngeld nutzen, steht durchaus für einen Wandel.

Und es wird sich weiterentwickeln. Aber: Es muss sich auch in den Köpfen etwas ändern. In Unternehmen werden Männer im Kollegium häufig noch schief angeschaut, wenn sie eine Auszeit für die Familie nehmen möchten. Viele Arbeitgeber sehen das ungern. Zum Glück sind Väter mit ihren Kindern in der Öffentlichkeit heute selbstverständlich, die Zeit, in der Väter teilweise aus Krabbelgruppen ausgeschlossen wurden, ist zum Glück vorbei.

Was bedeutet Familie für Sie persönlich?

Privatheit. Ein Rückzugsraum, in dem ich viele schöne Momente – Emotionen, Geborgenheit, Glück – erlebe und mich an ihnen erfreuen kann.

Blitz-Antworten: „Familie ist …“

  • … heute: immer noch ganz wichtig.
  • … in Zukunft: sehr vielfältig.
  • … in Bayern: eine wichtige Lebensform mit vielen Facetten.
  • … für unsere Gesellschaft: die Keimzelle.
  • … für Väter: ein wichtiger Rückzugsort.
  • … für Mütter: ein bedeutender privater Ort.
  • … finanziell: manchmal eine Belastung.
  • … für mich: das Schönste in meinem Leben.