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Das Jugendamt: vielseitige Unterstützung für Familien

Wissen Sie, wie eine Schulbegleitung Kinder direkt im Unterricht unterstützt? Wie ein Training zur Haushaltsorganisation Eltern entlasten kann? Dass eine sozialpädagogische Familienhilfe zu Familien nach Hause kommt, um dort „live“ bei der Erziehung zu coachen? Oder wie eine Praxisklasse auch für Jugendliche ohne Abschluss den Berufsstart möglich macht? Dies und mehr sind Angebote und Leistungen des Jugendamts. Erfahren Sie mehr über die breite Hilfe-Palette – im Gespräch mit Siegmund Hammel vom Jugendamt Eichstätt!

Über Siegmund Hammel

Porträtfoto: Siegmund Hammel.

Siegmund Hammel ist Sachgebietsleiter des Amts für Familie und Jugend am Landratsamt Eichstätt. (Foto: Amt für Familie und Jugend, Eichstätt)

Siegmund Hammel liebt seinen Job – und das schon seit rund zwei Jahrzehnten. Seit 2002 ist er Sachgebietsleiter des Amts für Familie und Jugend am Landratsamt Eichstätt. Seine Laufbahn im bayerischen Staatsdienst begann er schon mit 16 Jahren: Er startete im Landratsamt Eichstätt eine Ausbildung zum Verwaltungsbeamten. Doch er wollte mehr: Nach zehn Jahren im Beruf sattelte er ein Studium zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) obendrauf und wechselte ins Jugendamt. Als sein Vorgänger in Ruhestand ging, übernahm er hoch motiviert die Leitung dieses Sachgebiets. „Warum mir mein Job so viel Spaß macht? Weil sich die Anstrengungen für die Zukunft der Kinder wirklich lohnen!“

Interview: viel mehr als Kinderschutz

GESAGT

„Die Aufgabe aller Jugendämter ist ein regelmäßiges ‚Auf den Prüfstand stellen‘: Sind unsere Angebote das, was Kinder und Familien im Landkreis brauchen? Müssen wir neue Angebote schaffen oder bestehende verändern?“

Herr Hammel, was war ein besonders schönes Feedback für Ihre Arbeit als Jugendamtsleiter?   

Vor Kurzem war ich bei einer öffentlichen Veranstaltung. Dort hat mich ein Vater angesprochen: „Das Mädchen, das da gerade auf der Bühne steht und das Projekt ihrer Jugendgruppe präsentiert, ist meine Tochter. Wegen einer Angststörung hatte sie jahrelang große schulische und soziale Probleme. Dass sie da heute mit dem Mikrofon selbstbewusst auf der Bühne steht – das kann ich kaum glauben! Ihr neues Selbstvertrauen, das verdanken wir einem psychologischen Hilfeangebot, das uns das Jugendamt vermittelt hat. Danke!“ Natürlich landet auf meinem Amtsschreibtisch auch Kritik von Eltern, etwa im Zusammenhang mit Sorgerechtskonflikten. Über die positiven Rückmeldungen freue ich mich deshalb umso mehr.  

Auf welche Projekte sind Sie besonders stolz?

Das sind viele … Ein wichtiges Beispiel ist der Fachdienst für Kinder mit Lern- und Entwicklungsauffälligkeiten an Grundschulen (FLEG). Den haben wir ins Leben gerufen, weil wir gemeinsam mit dem Schulamt, Lehrkräften und psychologischen Fachkräften überlegt haben: Was können wir für Kinder tun, die schon in der 1. oder 2. Klasse Schulschwierigkeiten haben? Etwa wegen Lese-Rechtschreib-Schwächen oder Konzentrationsschwierigkeiten oder anderen Auffälligkeiten. Denn die Eltern dieser Kinder suchen oft erst Jahre später Hilfe beim Jugendamt, wenn sich die Probleme schon verfestigt haben. Durch unseren Fachdienst werden nun jedes Jahr etwa 60 bis 80 Kinder im Landkreis von einem professionellen Team begleitet. Durch die Fördermaßnahmen werden die Kinder schon zu Beginn ihrer Schulzeit individuell unterstützt, damit sich ihre Lernschwierigkeiten nicht verstärken und keine problematischen Schulverläufe entstehen.

GESAGT

„Wann ich zufrieden bin? Wenn es uns gelingt, dass Familien die Herausforderungen der Kindererziehung wieder aus eigener Kraft bewältigen.“

Gibt es weitere Angebote für spezielle Probleme von Familien und Jugendlichen?

Wir haben auch festgestellt, dass sich Jugendliche und Eltern mehr Beratung zum Thema Sucht wünschen. Dabei geht es nicht nur um Drogen, auch um Mediensucht, Spielsucht oder Essstörungen. Deshalb haben wir eine Suchtberatungsstelle für Kinder- und Jugendliche im Landkreis Eichstätt eingerichtet. Jetzt gibt es in mehreren Gemeinden im Landkreis Sucht-Sprechstunden, die Eltern wie Jugendliche unkompliziert zu Fuß erreichen können. Das ist ein tolles, niedrigschwelliges Angebot, das wir gezielt für den Bedarf in unserem Landkreis geschaffen haben. Außerdem bieten wir den Fachdienst Trennung und Scheidung an. Hier beraten speziell geschulte Fachleute Eltern in dieser besonderen Lebensphase – haben aber vor allem immer das Kindeswohl im Blick.

Was macht das Jugendamt?

Viele Menschen verbinden „das Jugendamt“ nur mit Extremfällen: Es greift ein bei einer Gefährdung des Kindeswohls – bei sexualisierter, körperlicher oder seelischer Gewalt und bei Vernachlässigung. Wie breit ist die Angebotspalette des Jugendamts tatsächlich?  

Es würde den Rahmen sprengen, hier alle Angebote zu erläutern. Das Spektrum reicht von A wie Adoptionsberatung bis Z wie Zuschuss zu Mehrwegwindeln – und unterscheidet sich auch von Jugendamt zu Jugendamt. Denn jedes Jugendamt in Bayern hat eigene Ideen und passt sein Angebot an die Bedarfe in seiner Region an. Auf unserer Website finden Familien eine Liste der Angebote des Amts für Familie und Jugend im Landkreis Eichstätt.

Schon gewusst? Kostenlose Beurkundungen

Wenn ein Kind geboren wird und die Mutter nicht verheiratet ist, wird das Jugendamt informiert – nicht zu Kontrollzwecken, sondern um kostenlose Beratung anzubieten. Denn bei unverheirateten Eltern stellen sich viele Fragen zu Vaterschaft, Sorgerecht, Unterhalt usw. – auch wenn beide das Kind gemeinsam großziehen. Praktisch: Das Jugendamt darf in diesem Zusammenhang auch kostenlos offizielle Urkunden erstellen, die bei einem Notar kostenpflichtig wären. 

Wenn ein Kind geboren wird, ist das für die Eltern eine große Lebensumstellung – und nicht immer einfach. Wo finden sie Hilfe?

Für diese Lebensphase sind flächendeckend bei allen Jugendämtern in Bayern KoKis eingerichtet: die Koordinierenden Kinderschutzstellen. Die KoKis werden bereits seit 2009 vom Bayerischen Familienministerium gefördert. Sie sind im Bereich der „Frühen Hilfen“ tätig. Das heißt: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen sehr frühzeitig auf belastete alleinerziehende Mütter, Väter oder Familien zu. Und sie sind gut vernetzt mit Stellen, denen Unterstützungsbedarf auch rechtzeitig auffallen kann: z. B. mit Hebammen, Kinderärztinnen und Kinderärzten und Frauenärztinnen und Frauenärzten. Wenn dort z. B. eine junge Mutter auftaucht, die schon ein Kind hat, stark belastet wirkt und nun wieder schwanger ist, dann bekommt sie dort sofort den Hinweis: „Melde dich bei der KoKi, da findest du Hilfe!“

Eine Frau liegt auf einem Sofa. Vor ihr liegt ein Säugling auf einer Decke.

Schlafmangel, Überforderung, Unsicherheit: Die Geburt eines Kindes kann den Alltag erstmal extrem verändern. Koordinierende Kinderschutzstellen (KoKis) stehen Eltern in der Schwangerschaft und den ersten Lebensjahren zur Seite. (Bild: GettyImages/ miodrag ignjatovic)

Welche Unterstützung können die KoKis Müttern und Vätern vermitteln?

Das können z. B. Trainerinnen und Trainer zur Haushaltsorganisation sein oder speziell fortgebildete Familienhebammen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, die eine Familie auch länger begleiten und ihr im Alltag helfen. Weitere Unterstützungsmöglichkeiten sind Job-Center-Leistungen, Schuldnerberatungen o. Ä. Die KoKis kommen schon ins Spiel, wenn gewisse Belastungsfaktoren sichtbar sind, aber das Thema Kinderschutz noch weit entfernt ist. Es geht um sehr frühe, konkrete und praktische Alltagsunterstützungen – eine Starthilfe sozusagen, damit das Baby einen guten Einstieg ins Leben hat. Diese Starthilfe kann sich auch schon auf die Zeit der Schwangerschaft beziehen, zum Beispiel, wenn zum Vater des Kindes kein Kontakt besteht und dies die werdende Mutter stark belastet.

Erklärt! Allgemeiner Sozialdienst

Wenn Eltern oder Kinder mehr und intensivere Unterstützung brauchen als die Frühen Hilfen der KoKis, kommt der Allgemeine Sozialdienst ins Spiel (manchmal auch „Bezirkssozialarbeit“ genannt). Er organisiert weiterführende Angebote: von der sozialpädagogischen Familienhilfe (die regelmäßig direkt in der Familie bei der Erziehung unterstützt und die Eltern coacht) über Heilpädagogische Tagesstätten (in denen Kinder nachmittags besondere heilpädagogische Förderung bekommen) bis zur Unterbringung in Pflegefamilien oder Heimen (wenn dies als letzter Schritt notwendig wird).

GESAGT

„Wir schauen bei den Familien nicht nur auf Schwächen und Risiken. Wir wollen vor allem ihre Stärken und Ressourcen fördern.“ 

Oft steigt der Stresslevel noch, wenn die Kleinkinder älter werden. Erziehungsschwierigkeiten, Schulprobleme, finanzielle Sorgen, Partnerschaftskonflikte ... Wo finden Eltern dann Unterstützung?  

Dann hilft der Allgemeine Sozialdienst. Auch hier schauen die Fachkräfte bei jeder Fallsituation erstmal ganz genau hin: Was ist die Problemlage, was sind die Ressourcen und Risiken in der Familie? Was kann die Familie eigenständig leisten? Wo könnten wir unterstützen? Wo ist die Familie eindeutig an ihrer Grenze? Nach dieser Bedarfsprüfung entscheiden die Fachkräfte über die konkreten Hilfen, in der Regel mit der Familie gemeinsam. Zum Beispiel: Wenn eine alleinerziehende Mutter mehrerer Kinder mit der Alltagsorganisation überfordert ist, können wir ihr eine sozialpädagogische Familienhilfe anbieten. Diese unterstützt über den Zeitraum von zwei Jahren mehrmals pro Woche – von Einkaufslisten über Hausaufgabenbetreuung bis zum Coaching bei der Bettgeh-Situation.

ÜBRIGENS

Das Jugendamt unterstützt Eltern, Kinder und Jugendliche auch finanziell, z. B. mit der Kostenübernahme für Kindertagesbetreuung oder mit Unterhaltsvorschüssen (etwa, wenn ein alleinerziehendes Elternteil keinen Unterhalt für das Kind vom anderen Elternteil erhält).

Drei jugendliche Mädchen und eine Frau stehen um einen Tisch. Darauf befinden sich ein mechanischer Greifarm und Reagenzgläser.

Ein weiteres Angebot des Jugendamts Eichstätt: In einer speziellen Praxisklasse werden Jugendliche ohne Schulabschluss sehr praxisorientiert auf das Berufsleben vorbereitet (hier ein Symbolbild, Quelle: GettyImages/SolStock).

Gibt es Hilfe für Eltern, deren Kinder die Schule ohne Abschluss verlassen wollen oder müssen?  

Ein besonderes Angebot im Landkreis Eichstätt ist z. B. die „Praxisklasse“. Das ist eine Spezial-Klasse für Jugendliche in der letzten Stufe der Mittelschule, bei denen sich schon abzeichnet, dass sie den Abschluss nicht schaffen werden. Diese Praxisklasse leitet ein Team aus einer Lehrkraft und einer Sozialarbeiterin. Für rund 15 Jugendliche gestalten sie das letzte Schuljahr mit besonderem Schwerpunkt: mit vielen praktischen Schulaufgaben, vielen Praktika in Betrieben, weniger offiziellem Lehrplan-Stoff. Das Ziel: die Talente der Jugendlichen herauszufinden und sie in Ausbildungen und Jobs zu bringen – denn ohne Schulabschluss hätten sie auf dem ersten Arbeitsmarkt wenig Chancen. Das Modell ist sehr erfolgreich: Seit über 15 Jahren haben wir eine Vermittlungsquote von 100 Prozent.  

GESAGT

„Fast immer werden Entscheidungen des Jugendamts mit den Eltern gemeinsam getroffen – nur selten gegen ihren Willen.“

Corona-Pandemie: Gab es spezielle Anfragen von Familien und veränderte Angebote?

Ich habe mich sehr über die Kreativität und die schnelle Umstellung der Angebote gefreut, auch bei unseren Kooperationspartnern: Statt die Familien zu Hause oder Jugendliche „indoor“ in Freizeiteinrichtungen zu unterstützen, gab es Online-Beratungen per Video, Gespräche bei Spaziergängen, Outdoor-Freizeitangebote in kleinen Gruppen u. Ä. Es war beiden Seiten sehr wichtig, dass die Unterstützung und die Kontakte nicht abbrechen. Aber natürlich hat sich der Hilfebedarf über den langen Zeitraum der Lockdowns auch verändert. Viele Kinder fallen jetzt durch Lerndefizite auf oder haben Schwierigkeiten, sich wieder in Gruppen einzugliedern – weil nicht alle Eltern gleichermaßen Homeschooling gewährleisten konnten und die Kinder so lange nicht in Klassenverbänden waren. Der konkrete Unterstützungsbedarf wird sich erst richtig zeigen, wenn die Schule nach den Ferien wieder losgeht. Aber dann werden wir mit entsprechenden neuen oder veränderten Angeboten reagieren – für Kinder, Jugendliche und Eltern.  

Schon gewusst?

Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter unterstützen Kinder, die sich aus unterschiedlichen Gründen schwertun, dem Schulunterricht selbstständig zu folgen. Zum Beispiel, weil sie Konzentrationsprobleme, Verhaltensauffälligkeiten oder tief greifende Entwicklungsstörungen wie Autismus haben. Die Schulbegleitung soll eine angemessene Bildung dieser Kinder sicherstellen: Sie ist im Unterricht an der Seite des Kindes, unterstützt den Spaß am Lernen, hilft bei der Organisation und Konzentration und fängt emotionale Schwankungen auf. In der Corona-Pandemie wurde das Angebot angepasst: Es gab z. B. auch Hausbesuche oder Videoangebote zur Unterstützung des Homeschoolings.

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